Das Interview hatte ich einst für das Buchprojekt Tondar geführt. Da das Buch vollständig vergriffen ist, veröffentliche ich jetzt hier das Interview mit Nekane Txapartegi, die gerade vergangene Woche nach neun Jahren auf der Flucht in Zürich verhaftet wurde. Es ist ein erschütterndes Dokument, das klarmacht, warum die Journalistin geflohen ist und unter keinen Umständen an die Peiniger in Spanien ausgeliefert werden will. Sie berichtet von den grausamen Vorgängen nach ihrer Verhaftung 1999. (Von Ralf Streck)
Wenn über das Baskenland gesprochen wird, dann geht es meist nur um die Gewalt der Separatistenorganisanisation ETA. Über die Gewalt, die vom spanischen oder auch französischen Staat gegen die Unabhängigkeitsbewegung ausgeübt wird, wird nicht oder wenig gesprochen. Abgesehen von der strukturellen Gewalt, die täglich gegen die Basken wegen Benachteiligung ihrer Sprache und Kultur ausgeübt wird, findet sich vor allem Spanien jedes Jahr in den Jahresberichten von Amnesty International (AI), des Antifolterkomitees des Europarates (CPT) oder der Uno-Menschenrechtskommission. Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur wird in Spanien noch immer systematisch gefoltert und misshandelt.
Im April 2002 hat die Uno ihren letzten Bericht zur Lage der Menschenrechte vorgelegt. Der UNO-Sonderberichterstatter Theo van Boven prangert darin Menschenrechtsverletzungen aus dem Jahr 2000 an. Innerhalb der EU sticht in dem Bericht Spanien mit fast 200 Vorwürfen heraus. So greift Boven 62 Fälle von übertriebener Polizeigewalt, zum Beispiel gegen Demonstranten, auf. 76 Übergriffe gegen Gefangene und 58 Fälle von Folter an Basken nach der Festnahme unter dem Anti-Terror Gesetz werden angeprangert.[1] Als Täter wird sowohl die Militäreinheit Guardia Civil, die auch Polizeiaufgaben wahrnimmt, die Nationalpolizei als auch die baskische Polizei (Ertzaintza) benannt. Besonders die Kontaktsperre, die das Antiterrorgesetz erlaubt und auf bis zu zehn Tage ausgedehnt werden kann, vereinfacht Menschenrechtsverstöße, erklärte Amnesty International schon kurz nach Einführung des Gesetzes 1978. Die Gefangenen sind während der Kontaktsperre der Polizei oder Guardia Civil vollkommen ausgeliefert und haben in dieser Zeit weder Kontakt zu einem Anwalt oder Arzt ihres Vertrauens noch zu ihren Angehörigen.
Der Bericht der UNO-Kommission erblickte genau einen Tag nach der Veröffentlichung eines Berichts von Amnesty International (AI) das Licht der Welt. Dort hatte AI rassistische Gewalt von Seiten der Sicherheitskräfte untersucht und war ebenso zu einem düsteren Bild gelangt. Die Organisation prangerte 321 Übergriffe gegen Einwanderer und ethnische Minderheiten in den vergangenen sechs Jahren an.[2] Da die großen Medien in Spanien, wie die Zeitungen El Pais und El Mundo, über den UNO-Bericht überhaupt nicht berichtet haben, brauchte sich die Regierung dazu nicht zu äußern. Ihre Stellungnahmen wären wohl ähnlich ausgefallen wie die Reaktionen auf die Kritiken von AI. So bezeichnete Ignacio Gil Lázaro, der Sprecher der Fraktion der regierenden Volkspartei (PP) im Parlament, die Vorwürfe als „total ungerecht“. Es sei „unbestreitbar, dass in Spanien niemand gefoltert werde”. Doch die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Auch vor spanischen Gerichten sind schon Polizisten und Zivilgardisten für Folterungen verurteilt worden. Weil die Strafen jedoch meist gering ausfallen und die Folterer alsbald begnadigt werden, spricht AI von einer weitgehenden Straflosigkeit. Obwohl die Regierung die Folter leugnet ist sie sich über dessen Tragweite bewußt. Nicht umsonst wird ein Bericht des CPT von Spanien nicht veröffentlicht.
Doch der Kommission zur Prävention der Folter des Europarats ist in diesem Frühjahr offenbar der Kragen geplatzt. Nachdem die Journalisten der „Baskischen Tageszeitung“ (Euskaldunon Egunkaria) angezeigt hatten, während der Kontaktsperre von der Guardia Civil gefoltert worden zu sein, veröffentlichte die CPT den Bericht. Eigentlich wäre das die Pflicht Spaniens gewesen. Mit der Veröffentlichung soll die „Sackgasse“ überwunden werden, mit der in Spanien die Folter behandelt wird, sagte ein Sprecher des CPT.
Die Kommission konnte sich in ad hoc Besuchen zwischen dem 22. und 26. Juli 2001 direkten Zugang zu Gefangenen verschaffen und so Spanien quasi der Folter überführen. „Trotz der verstrichenen Zeit konnten die Ärzte der Delegation, welche die betroffenen Personen besuchte, in vielen Fällen noch Verletzungen feststellen die sich mit den angezeigten Vorgängen decken.“ Das sind Methoden die auch Nekane Txapartegi zum Teil beschreibt: Schläge auf schmerzhafte Stellen am Körper, Erstickungsmethoden, Elektroschocks usw. Eine der vom CPT besuchten Personen war die Baskin Iratxe Sorzabal bei der die Verletzung der Elektroschocks auch mit Bildern dokumentiert werden konnten.
Auch die Kommission macht die Kontaktsperre vor allem für die Folter verantwortlich. Es sei „nichts zu rechtfertigen“, dass ein Mensch „fünf Tage völlig isoliert wird“ und weder die Familie noch ein Anwalt des Vertrauens etwas über dessen Schicksal erfährt. Es könne nicht sein, dass ein Mensch tagelang keinen Anwalt seines Vertrauens konsultieren kann und er nicht von einem Arzt seines Vertrauens untersucht wird. Das habe man schon vor 12 Jahren kritisiert, „geändert hat sich nichts“. Doch: Die Kontaktsperre soll nun sogar auf 13 Tage ausgeweitet werden.
Hätte das CPT noch länger geschwiegen hätte es sich genauso schuldig gemacht, wie die viele angeblich progressive Organisationen in Spanien. Die decken die Folter wenn es sich um Mitglieder der baskischen oder katalanischen Unabhängigkeitsbewegung oder angebliche Al Kaida Mitglieder handelt. Das CPT resümiert: „Der existente spanische Rechtsrahmen beschützt verhaftete Personen nicht mit effektiven Sicherheiten vor Misshandlungen“.[3]
Wir wollen die Folter an dem Fall von Nekane Txapartegi darstellen, die 1999 verhaftet wurde und deren Fall auch im entsprechenden Jahresbericht von Amnesty International aufgegriffen wurde. Die junge Frau, später Journalistin war zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung Stadträtin von Herri Batasuna im Dorf Asteasu, das im baskischen Hochland (Goiherri) liegt.
Nekane Txapartegi: „Ich wurde in Tolosa verhaftet. Typen in Zivil hielten mir mitten auf der Strasse eine Pistole an die Stirn und zerrten mich aus dem Auto. Die fragten nur, ob ich Nekane Txapartegi sei und als ich bejahte, wurden mir die Arme mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Ich wurde in ein Auto geschleift und dort wurde mir etwas über den Kopf gestülpt. Danach fingen sie an, Runden zu drehen und Fragen zu stellen. Dann versuchten sie mich zu zwingen, die Anweisung für die Kontaktsperre nach dem Anti-Terror Gesetz zu unterschreiben. Die Kontaktsperre bedeutet, mit niemandem sprechen zu können, weder mit deiner Familie noch mit einem Anwalt deines Vertrauens. Du bist ihnen vollständig ausgeliefert und hast keine Möglichkeit dich zu verteidigen. Als ich mich weigerte, begannen die Schläge, schon bevor sie mich nach Hause fuhren.“
So vergingen etwa zwei Stunden bis die „Durchsuchung“ ihrer Wohnung begann. Durchsuchung in Anführungsstrichen, denn es sei nicht darum gegangen etwas zu finden, sondern es ging um mutwillige Zerstörung. Über das was nach dem Verlassen der Wohnung geschah, möchte Nekane eigentlich lieber schweigen. Doch die Tatsache, dass täglich im Baskenland einem Menschen ähnliches widerfährt, lässt sie reden, auch wenn alles in ihr wieder aufgewühlt wird.
„Wir waren kaum mit dem Auto aus dem Dorf hinaus gefahren, da stülpten sie mir eine Plastiktüte über den Kopf. Es war eine von den dickwandigen Mülltüten. Die Folter besteht darin, dass du nahe an den Erstickungstod gebracht wirst. Die ziehen dir die Tüte am Hals zusammen und lassen dich nicht Atmen. Manchmal fällst du dabei in Ohnmacht. Dann lässt man dich wieder etwas Luft schnappen, um dich danach wieder zu strangulieren. Dazu kommen Schläge auf den Kopf. Sie fahren in einen Wald, halten an und führen dich hinein. Sie fesseln dich an Armen und Beinen und stecken dir die Pistole in den Mund. Wenn wir dich hier erschießen, wer erfährt schon davon, haben sie mir gesagt. Die Fahrt nach Madrid, die normalerweise vier bis fünf Stunden dauert, verlängerte sich so auf sieben Stunden. Es waren vier Guardia Civiles mit mir im Auto, zwei vorne und zwei hinten, die mich während der Fahrt dauernd auf den Kopf schlugen und mich strangulierten. Sie wollten, dass ich mich selbst beschuldige. Natürlich wollten sie auch, dass ich andere Namen nenne. Zunächst war es ganz egal welche, da sie weitere Leute verhaften wollten.“
Dabei war die Choreographie schon vorausbestimmt, ihre Rolle in diesem Schmierentheater schon festgelegt. Am frühen Morgen des 9. März 1999 wurden in Paris diverse Mitglieder der ETA verhaftet, darunter ein angeblicher ETA-Chef. Nekane Txapartegi wurde bei der Verhaftung am selben Nachmittag beschuldigt, als Kurier zwischen dieser Führung und dem Kommando von ETA in Donostia‑San Sebastian gedient zu haben. Der Vorwurf lautete Mitgliedschaft in der ETA. Die Anwendung des Antiterrorgesetzes lässt die Kontaktsperre von fünf Tagen zu, die ein Richter um weitere fünf Tage verlängern kann. In dieser Zeit werden oft aus den Beschuldigten Geständnisse und Anschuldigungen gegen andere herausgefoltert.
„Mich haben sie ins berüchtigte Kommissariat von Tres Cantos gebracht, wo sie schon Gurutze Yanci umgebracht haben. Sie kündigten mir an, dass der Spaß jetzt erst beginnt. Sie bringen mich in einen Raum und es geht weiter mit der Tüte, Schlägen und sexuellem Missbrauch. Sie wollen dass du dich ausziehst oder reißen dir die Kleider vom Leib, betatschen dich überall und stecken dir alles mögliche überall rein.“
Weitere Details der sexuellen Folter möchte sie nicht beschreiben. Sie fügt aber an, dass es Frauen ganz besonders hart trifft, wenn gleich auch Männer immer wieder anzeigen mit Schlagstöcken oder Pistolenläufen vergewaltigt worden zu sein. Hier tritt nach Angaben der baskischen Anti-Folter Gruppe (TAT/Torturaren Aurkako Taldea) in der letzten Zeit auch verstärkt die baskische Polizei Ertzaintza hervor.[4]
„Sie lassen dich nicht schlafen. Ich, im Konkreten, musste die ganze Zeit gefesselt stehen und mit einem Sack über dem Kopf an die Wand schauen. Du siehst nie wer dich foltert, wenn es nicht die Tüte ist, stülpen sie dir was anderes über. Vor Ermüdung kippst du einfach um, worauf sie auf dich eintreten. Sie machen alles mögliche mit dir. Es fällt mir schwer, das alles zu erzählen. Das ging die ganze Zeit so. Insgesamt waren es fünf Tage.“
Fünf Tage des Horrors, die sie ohne Essen, Trinken und Schlafen zugebracht hat. Zwischendurch kam ein „Arzt“ vorbei, doch der hatte nur die Aufgabe, zu schauen, dass sie nicht stirbt und nicht zu viele Spuren der Folter zu sehen sind. Nach etwa drei Tagen, genau kann sie es nicht sagen, soll sie ihre „Aussagen“ zu Protokoll geben. Doch sie weigert sich und fordert einen Anwalt ihres Vertrauens.
„Als ich mich nach drei Tagen verweigerte, wurde die Folter noch heftiger. Ich glaube noch am selben oder nächsten Tag sollte ich wieder aussagen. Diesmal lassen sie mich auswendig lernen, was ich sagen soll. Sie sagten mir, du bist die, hast das und das getan und musst den oder jenen beschuldigen. Ich sage dir, die Folterungen waren einfach nicht mehr zum Aushalten, denn es kommt auch die psychologische Folter hinzu. Sie sagten mir, dass sie meine Familie verhaften würden und dass schon einige andere Leute verhaftet worden seien. Ich wusste nicht, wer alles verhaftet wurde. Ich wusste nur, dass ein Freund, Mikel Egibar, dabei war, denn irgendwann führten sie mich zu ihm, um zu sagen, dass er mich für die ETA angeworben habe. Dann haben sie uns in gegenüberliegenden Zellen bei offenen Türen gefoltert, so dass wir gegenseitig die Folter des anderen hörten. Das Schlimmste war, als sie uns noch die Ultraschallbilder der schwangeren Frau von Mikel gezeigt haben. Sie sagten, wenn ihr nicht aussagt und es gibt eine Fehlgeburt, seid ihr selbst schuld. Und dann fangen sie wieder mit der Folter an. Sie sagen dir, wenn du nicht das sagst was wir wollen, kommst du hier nicht raus. Irgendwann kommt der Augenblick, wo du das alles nicht mehr aushalten kannst.“
Sie gibt auf und bezeugt, was von ihr verlangt wird. Drei Mal habe sie dann ihre Aussagen ändern müssen, die ihr jeweils von der Guardia Civil diktiert wurden. Jedes Mal muss sie bezeugen, dass die zuvor abgegebene Aussage gelogen war. Während der Folter kam offensichtlich selbst die Guardia Civil zu dem Ergebnis, dass sie unmöglich Kontaktfrau zwischen einem ETA‑Kommando und der Führung sein konnte.
Da sie Mikel Egibar kannte, wurde sie nun dieser Gruppe zugeordnet, die auch in diesen Tagen verhaftet worden war. Dabei handelte es sich um Mitglieder von Xaki. Also wurde sie zum Xaki‑Mitglied umdefiniert, mit den entsprechenden Änderungen in den Aussagen versteht sich. Xaki war eine Organisation, die für Herri Batasuna versucht hat, international eine Öffentlichkeit über den Konflikt im Baskenland herzustellen. Gerade in der Zeit des Friedensplans und der Waffenruhe der ETA störte deren Aktivität ganz besonders. Für den Richter Garzón handelt es sich bei Xaki um das Außenministerium der ETA.
Am sechsten Tag nach der Verhaftung sitzt sie endlich vor einer Haftrichterin. Dort wiederruft sie alle Aussagen und zeigt die erlittene Folter an. Die Haftrichterin, einiges gewohnt, habe sich angesichts ihres schlimmen Zustandes sogar zu einer menschlichen Geste hinreissen lassen und ihr Wasser zum Trinken angeboten. Das änderte aber nichts daran, dass sie Nekane wegen dem Foltergeständnis in Haft schickte. Statt sie zu anderen Gefangenen zu lassen, verlängert sie sogar die Kontaktsperre um weitere fünf Tage. Nekane Txapartegi vermutet, dass es wohl an ihrem bedauernswerten Zustand lag. Offenbar sollte niemand sie in diesem Zustand sehen, der später davon Zeugnis hätte ablegen können. Doch sie hatte Glück, in ihrem Pech besonders hart gefoltert worden zu sein.
„Der Knast unterliegt der Vorschrift, dich bei der Aufnahme zu untersuchen. Die Ärztin bei der Eingangsuntersuchung war total geschockt und machte ein Gutachten, denn wenn dir im Gefängnis was passiert, ist das Gefängnis verantwortlich. Die wollten auf der sicheren Seite sein, denn normalerweise wird die Folter von den Ärzten gedeckt, damit man nichts gegen die Guardia Civiles unternehmen kann. In dem Bericht sind einige Sachen dokumentiert. Das war zwar nicht mal die Hälfte von den Sachen, die ich hatte, aber so habe ich wenigsten etwas in der Hand.“
Allein diesem Bericht hat sie es zu verdanken, dass ihre Folteranzeige überhaupt ernst genommen wurde und der Fall heute beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg liegt. Zwar sei dort noch nichts passiert, aber wegen fehlender Beweise würden die Foltervorwürfe dort sonst reihenweise abgewiesen. Als sie endlich mit anderen baskischen politischen Gefangenen zusammen kommt, scheint das schlimmste überstanden zu sein.
„Sie waren es, die mir halfen, wieder voran zu kommen. Stell dir vor, wie es ist, nach diesen Tagen bei der Guardia Civil allein zwischen diesen Mauern zu sein. Du brichst zusammen, wenn du nicht alles ganz klar hast. Du hast zwar von Freunden von der Folter gehört, aber du weißt nicht, zu was die alles fähig sind, bevor du nicht in ihren Händen warst.“
Nur einen Tag später erhält sie die Nachricht, dass ihr Freund, Joselu Geresta, tot in Renteria gefunden wurde. Selbstmord, lautet die offizielle Version, doch dagegen spricht eigentlich alles. Unter anderem wurden ihm nach seinem Tod zwei Zähne ausgerissen und die Haltung der Leiche verändert.
„Ich hatte mich noch nicht von den Verletzungen der Folter erholt, von den psychologischen Schäden erholt man sich sowieso nie. Ich versuchte mit all meinen Kräften, wieder auf die Beine zu kommen, und dann Bumm, das. Sofort benutzten sie mich draußen, um seinen angeblichen Selbstmord zu begründen. Doch für mich war immer klar, dass er ermordet wurde und ich werde das weiter sagen. Aber die spanischen Medien behaupteten, er sei zusammen gebrochen, weil seine Freundin verhaftet wurde, und habe sich eine Kugel in den Kopf geschossen. Die Genossinnen waren auch jetzt eine zentrale Stütze für mich. Ich weiß nicht was passiert wäre, wenn ich dabei allein gewesen wäre, ob ich das verkraftet hätte.“
Neun Monate war sie inhaftiert. Bis zu ihrer Freilassung auf Kaution wussten weder sie noch ihr Anwalt, was ihr konkret vorgeworfen wurde. Denn ein Jahr lang wurden die Ermittlungen „geheim“ geführt – auch eine Spezialität der spanischen Demokratie. Akteneinsicht gibt es dabei für Anwälte solange nicht. Nekane geht davon aus, das die Verhaftung die Xaki-Leute daran hindern sollte, während der unbefristeten Waffenruhe der ETA die Situation der Basken international darzustellen. Der Tod ihres Freundes sollte wohl die ETA dazu bringen, die Waffenruhe aufzugeben. Welche Rolle ihr zugedacht war, ist bis heute unklar.
„Meine Situation war total merkwürdig, denn ich wurde aus dem Gefängnis entlassen, während die Ermittlungen noch immer geheim geführt wurden. Klar, da gibt es den Haftbefehl vom Sekretariat des Ermittlungsrichters, da stand drin, ich hätte einige Reisen in Europa unternommen und hätte Pässe für Flüchtlinge besorgt. Ich wurde also entlassen, ohne konkret zu wissen, was mir eigentlich vorgeworfen wurde.“
Ohnehin war die ganze Aktion, angeordnet vom Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ein Schlag ins Wasser. Nicht einmal die Foltergeständnisse konnten Garzóns Kollegen vom Nationalen Gerichtshof dazu bewegen, einen Zusammenhang zwischen Xaki und ETA zu sehen. Die letzten Mitglieder der Gruppe wurden im März 2001 entlassen. Der Freund von Nekane, Mikel Egibar, hatte fast zwei Jahre zu unrecht im Gefängnis gesessen. Die vierte Kammer stellte in ihrem Urteil entlarvend fest: „Die Anklage krankt an einem Fehlen von Konkretisierung“. „Nicht einmal das vermeintliche Ziel der Anklage ist benannt“. „Es gibt nicht einmal Indizien…“, usw. Garzón, der sich mit seiner Anklage gegen den chilenischen Ex‑Diktator Pinochet zum Verteidiger der Menschenrechte aufspielt geht gegen Folterer in Spanien nicht vor, selbst wenn die Beweise erdrückend sind. Im übrigen hinderte ihn die Entscheidung des Nationalen Gerichtshofs nicht daran, Xaki einen Monat nach der Freilassung sämtlicher Mitglieder zu verbieten. Obwohl sich die Entscheidung des Sondergerichtes wie die Anklageschrift eines willfähigen Richters im Dienste der Regierung liest, sind es weiterhin die Beschuldigten, die noch immer die Konsequenzen seiner Anklagen zu tragen haben. So können Nekane und 13 weitere Menschen allein im Fall Xaki Spanien nicht verlassen, ein Land das sie ohnehin nicht anerkennen. In den französischen Teil des Baskenlandes können sie nicht reisen. Dazu kommen die ökonomischen Probleme auf Grund der hohen Kautionen. Allein Nekane musste 120.000 Mark hinterlegen, um frei zu kommen. Sie darf wegen des schwebenden Verfahrens Spanien nicht verlassen, muss sich ständig bei der Polizei melden und darf keinerlei Besitz haben, der sofort gepfändet würde. So wie ihr geht es allein in Garzóns Makroverfahren 18/98 über 100 Menschen. Obwohl sie jeden Tag erneut verhaftet werden könnte, kommen für sie eine Flucht oder das Exil nicht in Frage. „Das hier würde ich mit nichts in der Welt tauschen. Klar würde ich mir gerne alles ansehen, aber als Touristin“.