Vorwärts: Spanien schützt Folterer

Nach der Verhaftung von Nekane Txapartegi: Ein neuer Bericht dokumentiert rund 4000 Fälle von Folter in spanischen Gefängnissen. Denoch droht Nekane die Abschiebung. (Vorwärts, pid, 26. August 2016)

Fast fünf Monate ist es her, seit Nekane Txapartegi am 6. April 2016 in Zürich festgenommen wurde. Nach wie vor droht der 43-jährigen Baskin die Auslieferung nach Spanien, wo sie eine langjährige Haftstrafe erwartet.

Nekane, die bis Ende der 90er-Jahre auf Gemeindeebene politisiert hatte, wurde 2007 im Rahmen eines Massenprozesses beschuldigt, die baskische Untergrundorganisation ETA unterstützt zu haben. Während ihrer Inhaftierung im Jahr 1999 hatte sie ein entsprechendes Geständnis abgelegt. Nicht freiwillig, sondern, wie Dokumente und Zeugenaussagen aus jener Zeit belegen, durch Folter und Vergewaltigung.

Obwohl die Gefangene das Geständnis noch vor ihrer vorläufigen Freilassung Ende 1999 wiederrufen und ihre Peiniger – die paramilitärische «Guardia Civil» – angezeigt hat: Genugtuung erfuhr Nekane nie. Im Gegenteil. Während sie zusammen mit 42 weiteren Angeklagten vom Sondergerichtshof für politische Delikte in Madrid pauschal wegen Kollaboration mit einer «Terrororganisation» verurteilt wurde, hatte sich die «Guardia Civil» zu keiner Zeit für die ihr zugeschriebene Folter zu verantworten.

Bericht belegt Folter

Nekanes Geschichte ist exemplarisch. Immer wieder kritisieren Organisationen wie Amnesty International, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) und selbst die UNO, dass Foltervorwürfe in Spanien ohne gründliche und unabhängige Untersuchung ad acta gelegt werden. Bereits sieben Mal verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Madrid, weil Foltervorwürfen nicht nachgegangen und Beschuldigte nicht angeklagt wurden. Ende Mai 2016 befand der EGMR den spanischen Staat zudem erstmals ganz explizit der Folter von baskischen Gefangenen für schuldig.

In welchem Ausmass in Spanien in den vergangenen Jahren gefoltert wurde, zeigt der kürzlich erschienene Bericht einer baskischen Untersuchungskommision: Rund 4000 Fälle von Folter, die sich zwischen 1960 und 2013 in Spanien ereignet haben, wurden von den ExpertInnen zusammengetragen und strichprobenweise ausgewertet. Von 202 Fällen, die unter Anwendung der UNO-Standards zur Untersuchung und Dokumentation von Folter eingehend geprüft wurden, beurteilte die Kommision 11 Prozent der Foltervorwürfe als «absolut» erwiesen, während 87 Prozent der Fälle als «sehr zuverlässig» oder «zuverlässig» eingestuft wurden. Das Resultat belegt: In Europa ist Folter eine Realität – selbst wenn darüber lieber geschwiegen wird.

Schweizer Behörden im Zwiespalt

Die Schweizer Behörden sehen sich nun jedoch gezwungen, in Madrid nachzuhaken: In einem offiziellen Schreiben verlangte das Bundesamt für Justiz Ende Juni zu wissen, wie die spanische Justiz mit Nekanes Folterklage umgegangen sei. Die Antwort liegt nun dem «vorwärts» vor: Darin ist zu lesen, dass es sich bei Folterklagen seitens politischer Gefangenen um eine «Strategie der ETA» handle; bei der Untersuchung von Nekanes Klage habe man «keine Hinweise auf ein Verbrechen» finden können, heisst es knapp. Daneben verstrickt sich Madrid in Ungenauigkeiten und Widersprüche. So ist etwa an einer Stelle des Schreibens zu lesen, Nekane habe die Folter erst nach ihrer Freilassung im dezember 1999 angezeigt, während die Behörden andernorts schreiben, die Klage sei am 21. Juni 1999 eingegangen.

Wie das Bundesamt für Justiz damit umgeht, ist noch offen. Die Situation ist unangenehm: Wenn die Schweiz Nekane ausliefert, könnte sie wegen Verletzung der Menschenrechts- und Anti-Folter-Konvention verklagt werden; sollte die Schweiz nicht ausliefern, erkennt sie Spanien indirekt als Folterstaat an und gefährdet damit die diplomatischen Beziehungen. Das wiederum käme ungelegen, da sich die Schweiz im Zusammenhang mit der Umsetzung der «Masseneinwanderungsinitiative» die Unterstützung Spaniens erhofft: Am 6. Juli war Simonetta Sommaruga in Madrid zu Besuch, um für das Anliegen zu werben, die «Zuwanderung» in die Schweiz künftig eigenständig zu steuern und gleichzeitig die bilateralen Verträge zu erhalten. Hierfür ist die Schweiz auf das Wohlwollen der EU-Mitglieder, wie etwa Spanien, angewiesen.

Bei der Behandlung von Nekanes Auslieferungsgesuch könnten hiernach auch politische Aspekte eine Rolle spielen. Wann mit einem Entscheid zu rechnen ist, ist zurzeit nicht absehbar. Um die Abschiebung zu verhindern, ruft das Komitee «Freiheit für Nekane» nach wie vor zu Solidaritätsaktionen auf.

Anti-Terror-Gesetz fördert Folter

In Spanien wird Folter von politischen Gefangenen per Gesetz geschützt und gefördert. Personen, die «terroristischer Aktivitäten» verdächtigt werden, können während der ersten fünf Tage ihrer Gefangenschaft in strenger Isolationshaft, der sogenannten «Incommunicado-Haft», gehalten werden. Dabei wird der Kontakt zu jeglichen aussenstehenden Personen – wie etwa AnwältInnen oder unabhängigen ÄrztInnen – verweigert. Dies schafft die nötigen Voraussetzungen, um Folter ungesehen zu begehen und Beweise zu tilgen.

Dass das nicht nur Theorie ist, sondern durchaus praktische Anwendung findet, bestätigte im Jahr 2015 ausgerechnet Baltasar Garzon. Der ehemalige spanische Untersuchungsrichter, der für die Repressionswelle gegen AnhängerInnen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung Ende der 90er-Jahre verantwortlich war, räumte gegenüber der spanischen Tageszeitung «Publico» ein, dass es bei den Terrorismusverfahren in Spanien zu «Exzessen» von Folter gekommen sei.

16-08 vorwärts